Der erste Tatort der Geschichte
Liebe Gemeinde, Gott hat wohl auch an den deutschen Normalbürger gedacht, als er die Bibel verfassen ließ. Oder warum hat er gleich im vierten Kapitel einen „Tatort“ eingebaut? Alles ist dabei – man spürt die Spannung (vielleicht diejenigen, für die es eine Wiederholung ist nicht so) – es gibt ein soziales Problem und – das Wichtigste: Einen Mord.
Genauso wie beim Tatort der Mord und seine Aufklärung nur Mittel sind, um auf ein bestimmtes Thema in unserer Gesellschaft hinzuweisen, so auch bei der Geschichte von Kain und Abel im 4. Kapitel der Bibel, Genesis 4. Mit der Geschichte vom ersten Mord der Menschheit, wird uns etwas erzählt, was auch alle interessiert, die noch keinen Mord begangen haben, zumindest keinen von der öffentlich strafbaren Sorte.
1 Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des HERRN. 2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Schuld ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten. Genesis 4,1-16
Aktueller sozialer Konflikt im Hintergrund
Sozusagen im Hintergrund spielt ein großer Konflikt aus der Zeit der Bibel eine Rolle. Da gab es in den Steppen wandernde Hirtenvölker, Nomaden, die von Viehzucht lebten. Und da gab es an den großen Flüssen vor allem die Hochkulturen mit sesshaften Menschen, die Ackerbau betrieben. Bei denen klingelte etwas, wenn davon erzählt wurde, dass Abel Hirte wurde und Kain Ackerbauer.
Heute wäre vielleicht Abel ein Impfbefürworter und Kain ein Impfgegner – oder umgekehrt. Oder Kain einer, der vor hat, die Linke zu wählen, und Abel die AfD. Oder Kain gehört zu den Etablierten, die sich darüber aufregen, dass Abel mit Harz IV alles in den Schoß gelegt wird und der nichts schaffen muss. Oder umgekehrt. Neiddebatten gab es damals wie heute.
Vielleicht denken sie aber auch an ihre Familiengeschichten. Ältestes Geschwisterkind und das nächstälteste. Mir, als dem jüngsten Bruder wurde erzählt, dass einer meiner älteren Brüder dem anderen – sie waren damals noch Kinder – eins mit dem Spaten übergebraten habe. Anscheinend nicht mit der spitzen Seite, sonst müsste ich das wohl dramatischer erzählen. Aber das Thema Neid und daraus entstehender Zorn ist in allen unseren menschlichen Familien präsent und auch das Thema Zorn.
Wo sehn wir uns?
Interessant wird es dann, wenn wir uns auch einmal überlegen, wo wir stehen. Sehen wir uns eher bei Kain, dem, der sich zurückgesetzt fühlt? Oder eher bei Abel, der irgendwie aus dem Vollen zu schöpfen scheint?
Vielleicht geht es gar nicht um den Unterschied zwischen Kain und Abel, sondern Kain, wie er ist: Er blickt zornig zu Boden. Und Kain wie er auch sein könnte: Du kannst frei den Blick erheben!
Wobei: Schon bei ihrem Opfer sind Kain und Abel unterschiedlich unterwegs. Es wird ja nicht direkt gesagt, warum Gott das Opfer des Abel annimmt, und das von Kain verwirft. Es wird auch nicht erzählt, woran die beiden das merken. Gemerkt haben muss es aber Kain, sonst wäre er nicht zornig gewesen. Jedenfalls muss man die Beweggründe Gottes, das einen Opfer anzunehmen und das andere zu verwerfen aus den leisen Andeutungen des Textes entnehmen.
„Kain brachte von dem Ertrag seines Feldes eine Opfergabe dar. Auch Abel brachte ein Opfer dar: die erstgeborenen Tiere seiner Herde und ihr Fett.“
Hanjörg Bräumer formuliert dazu: Abel bracht das Erste und das Beste. Kain nur das Erstbeste.
Wie ist unsere Haltung zu Gott? Das ist eine der Fragen, vor die uns dieser Tatort stellt.
Ich stell mir Kains Haltung so vor: Gott ist wichtig. Er ist zu beachten. Ich muss ihn zufrieden stellen. Mal schauen, was ich ihm geben kann, ohne dass es mir allzu weh tut.
Abels Haltung male ich mir so aus: Gott hat mich reich beschenkt. Die Tiere wurden fett und haben sich vermehrt. Es geht mir gut. Ich bin Gott so dankbar, der mir das alles gönnt. Ich bin so beschenkt. Ohne lange nachzudenken und zu rechnen, gibt er Gott die erstgeborenen Tiere und das Beste an ihnen. Für manche unter uns vielleicht kaum zu glauben: Er hielt das Fett für das Beste!
Kain mag Gott gefürchtet und geehrt haben. Aber er hat ihn nicht geliebt! Abel liebte Gott, hatte eine persönliche Beziehung zu ihm. Für Kain war er eher ein Geschäftspartner.
Lasst mich das bitte noch stärker in diese Richtung auslegen, damit wir die richtige Haltung annehmen, wie Abel: Die Hände dankbar erheben zu einem Gott, der uns das Leben in Fülle gönnt, der das Beste für uns will, der uns liebt! Aufschauen zu ihm und seine Liebe erwidern.
Abels Haltung einnehmen!
Nicht ängstlich zusammenhaltend, was wir zu besitzen meinen, was wir an Macht haben und Einfluss, an vermeintlicher Sicherheit. Heute Morgen lädt Gott uns ein, Abels Haltung einzunehmen! Hört ihr es?
Nun hat Kains Haltung Folgen. Er spürt, dass Gott ihm fern gerückt ist. Sein Opfer wird nicht angenommen. Er merkt, dass da etwas fehlt. Aber was? Und er schielt hinüber zu Abel. Der hat was. Warum ich nicht? Da packte Kain der Zorn, und er blickte finster zu Boden. Das Schöne an der Geschichte: Gott redet mit uns „Kains“. Er zeigt uns einen Ausweg, er interessiert sich für uns, er fragt uns: „Warum bist du so zornig, und warum blickst du zu Boden? Ist es nicht so: Wenn du Gutes planst, kannst du den Blick frei erheben.“ Das ist die eine Haltung, die möglich ist: Gutes planen und den Blick frei erheben.
Die andere Haltung: Dem Zorn seinen Lauf zu lassen, ja möglicherweise versuchen, ihn zu zügeln. Aber wer zum Zorn neigt, weiß: Wir sind keine guten Zornflüsterer. Der Zorn geht mit uns durch. In der Geschichte ist es ein anderes Bild. Wenn wir mit unserem Zorn im Gepäck nach draußen gehen, lauert der Ausbruch des Zornes vor der Tür. Und wenn er ausbricht, dann geschieht Sünde: Gottes guter Wille für meinen Mitmenschen wird nicht beachtet, er wird verletzt.
Kennen sie das? Wir wollte mit jemand anderem nur „was klären“. Jemandem mal die Meinung zu sagen. Ihn in seine Grenzen weißen. Und dann ist es eskaliert. Es ging hin und her. Und dann ist zwar kein Mord geschehen, aber doch eine Verletzung, ein Schaden.
Und wir merken: So ist Sünde. Es ist eine Dynamik. Der Schuss geht nach hinten los und wir haben selbst den Schaden. Und wenn wir so weiter machen, wird das Leben mühsam, verkrampft.
Ich stelle mir vor, dass Kain tatsächlich sich nur vorgenommen hat, mit Abel „was zu klären“. Vielleicht war der Vorsatz gar nicht da! Aber dann doch die Gelegenheit. Kain erschlägt seinen Bruder Abel.
Gott ist Anwalt der Opfer
Und nun wichtig: Gott ist Anwalt der Opfer. Nochmals spricht er Kain an. Zu uns spricht er oft, nicht unbedingt immer, aber nicht selten durch unser schlechtes Gewissen. „Wo ist dein Bruder Abel?“ Kain zuckt die Achseln: „Woher soll ich das wissen?“ „Das Blut deines Bruders schreit vom Ackerboden zu mir!“
Das gehört zur Realität unseres Gottes. So ist er. Er sieht und hört alles. Die frohe Botschaft für alle, die Opfer wurden. Er weiß darum. Aber tiefer Ernst für die Täterinnen und Täter. Gott fragt nach ihnen. Manchmal benutzt Gott dazu auch Menschen, die unbequeme Fragen stellen, Opfer, die ihren Mund aufmachen. Oder deren Fürsprecher. So unangenehm solche Zeitgenossen sein mögen. Wir dürfen sie nicht einfach mundtot machen.
Die letzte Gelegenheit, Gott recht zu geben, verschenkt Kain. Und Gott verflucht ihn. Anders gesagt: Er lässt ihn mit den Folgen seines Handelns allein. Nein, nicht völlig allein. Kain stellt Gott seine Situation dar: „Als von dir Entfernter wird mich jeder Dahergelaufene erschlagen können.“ Deshalb gibt Gott ihm ein Zeichen auf die Stirn. Hier schon, auf den ersten Seiten der Bibel ein Anzeichen, dass Gott um den Menschen treu zu bleiben, ein gütiger, verzeihender, gnädiger Gott wird.
Man könnte es heute so sagen: Viele Menschen wissen gar nicht darum, wie nahe ihnen Gott ist, obwohl sie seine Nähe nicht spüren, obwohl sie meinten, sie hätten sich von ihm entfernt. Und das ist gut so. Und ein Mörder ist nicht weiter weg von Gott als jemand, der auf andere Weise dem Zorn seinen Lauf ließ. Oder anders gesagt: Ein Mörder bleibt genauso nah bei Gott wie jeder andere auch.
Wenn du Gutes planst, kannst du den Blick frei erheben.
Am Ende der Predigt möchte ich aber nicht mit diesem Gedanken aufhören, sondern noch einmal auf das große Angebot am Höhepunkt der Geschichte eingehen. Diese Einladung zur Abel-Haltung: Wenn du Gutes planst, kannst du den Blick frei erheben.
Vielleicht probieren Sie jetzt mal Folgendes mit mir aus. Setzen Sie sich aufrecht hin und machen sie die Worte, die ich jetzt spreche, zu ihren eigenen Worten. Und öffnen sie sich Gott. Wenn sie merken: Das passt nicht zu mir, dann nehmen sie diesen Gedanken mit. Wenn sie merken das passt, dann nehmen sie damit die Haltung an, zu der Gott einlädt. Und wenn sie Gott noch mehr sagen wollen, dann tun sie das gerne in der kurzen Stille:
Gebet
Ich glaube, dass Gott es gut mit mir meint. Zu ihm hebe ich meinen Blick und bin dankbar. Ihm öffne ich meine Hände. Meine Schätze gehören ihm. Er darf damit machen, was er will. Er wird es gut verwenden, weil er mich liebt. Er liebt mich so sehr, dass er von mir gar kein Opfer mehr braucht, seit Jesus das letzte Opfer wurde. Er freut sich an meiner Dankbarkeit. Und ich habe eine wundervolle Gelegenheit, meine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, indem ich ihm das Erste und das Beste widme.
Anstatt nach rechts und links zu schielen und mich auf das zu beziehen, was andere haben an Reichtum und Begabungen, nehme ich dankbar an, wie Gott mich ganz persönlich segnet und begabt.
Und wenn der Neid oder der Zorn mich dennoch packt, versuche ich nicht, ihn zu reiten, weil es doch eher so ist, dass die beiden mich reiten.
Ich plane Gutes! Ich gönne anderen Gutes! Ich unterstelle meinen Mitmenschen Gutes! So füttere ich meine Gedanken!
Und wenn ich den Verdacht habe, sie führen mich auf einen zwielichtigen Acker? Natürlich bin ich dann nicht blöd und gehe, ohne mit der Wimper zu zucken, darauf ein. Auf zwielichtigem Geländer erleiden Täter wie Opfer den Schaden. Und dennoch: Im Zweifelsfall unterstelle ich Gutes!
Und wenn ich dann doch Schaden erleide, verletzt oder beraubt werde? Dann bin ich mit Abel und mit Jesus und vielen anderen, in guter Gemeinschaft. So sehr eine aufrechte Haltung mit freiem Blick riskant ist. Das Risiko ist es wert. Mir selbst und den Menschen, mit denen ich zusammen bin, zugute.
Gott, du lädst mich zu dieser Haltung ein. Zu dir erhebe ich frei den Blick, zu dir, dem lebendigen und barmherzigen Gott.
Amen.